Authenticity in Haiku
First
published in Chrysanthemum #19, April
2016, pages 81–82, with German translation by Beate Conrad on pages 84–85.
Originally written in January of 2015. The English here has been slightly revised since the original publication.
We often talk about authenticity in haiku, but what does that mean? Some people
believe that the poem has to map to one’s actual immediate experience, as if that’s
what makes it “authentic.” Thus, one could have a stupid or meaningless
experience and a haiku about it would still be “authentic.” This approach
elevates diary entries as if that makes them literature. At the very least, we
should not confuse this kind of “authenticity” with being “good.” Such an
approach also seems to leave no room for imagination, and perhaps not even for
memory. But haiku is a poem, not a diary entry.
Another approach, the one I
advocate, is that “authenticity” is defined by the poem’s effect on the reader, not the effect of an experience
on the writer. Here I am reminded of
Stephen Crane’s classic novel, The Red
Badge of Courage, about the American Civil War. The book was lauded for its
gripping authenticity. Some of that war’s veterans went so far as to claim that
they fought with Crane on the battlefield—even though Crane was not even born
until 1871, six years after the war ended. So what Crane accomplished was the creation of authenticity, not the mere
mapping to experience. Just as we know that fiction can be more true than
reality, the same can be true of haiku—yet for reasons that seem baffling, some
haiku poets resist the idea of writing from imagination or even from memory. But writing from so-called reality is a choice,
not the inviolate nature of haiku that some poets seem to presume. Perhaps this
limitation comes from the heavy influence of Zen interpretations of haiku,
thanks to Blyth and the Beat poets in America, if not elsewhere. Haiku poets
need to get over this, or at least recognize when other poets have gotten over
this, and see the value in their wider approach to authenticity. As even Bashō himself
said, “The art of poetry lies simply in the skillful telling of a lie.”[1]
Indeed, I believe haiku limits
itself when we take it to be just a mapping to experience. Furthermore, even an actual experience can come across to
readers as being inauthentic because it may be too unusual or unbelievable. So
even if one is writing about actual experience, the poet still has the burden
to create authenticity and believability for
the reader. Here is where it’s easy to think of Buson’s famous poem about
stepping on his dead wife’s comb, and the chill that brought to him. It’s a
chill that any one of us can also feel on reading that poem. But of course
Buson’s wife was still alive at the time. He wasn’t limited to mapping his
haiku to so-called “actual” experience. Authenticity in haiku is not mere mapping to experiences that have already
happened. Rather, authenticity in haiku is created,
and in turn these poems create an experience that we hope will happen for the
reader. Furthermore, haiku is
experience, not the mere recreation of experience. The authenticity that gives
haiku power to move us emotionally comes from creating a poem that strikes the reader as believable, regardless
of whether it really happened or not—which can never be proved anyway. If we
can embrace this truth, perhaps haiku poets can get over their own civil war
regarding authenticity.
Authentizität im Haikuaus
dem Englischen übertragen von Beate Conrad
Wir sprechen oft über Echtheit im Haiku, aber was bedeutet das? Einige glauben,
daß das Gedicht eine tatsächliche, unmittelbare Erfahrung abzubilden habe, als
wäre das genau das, was das Haiku „authentisch“ machte. So könnte man ja auch
eine dümmliche oder sinnlose Erfahrung machen und das Haiku darüber wäre
folglich noch „authentisch“. Dieser Ansatz überhöhte aber
Tagebuchaufzeichnungen, machte sie zur eigentlichen Literatur. Am
allerwenigsten sollten wir diese Art der „Authentizität“, mit „gut sein“
verwechseln. Solch eine Herangehensweise läßt nämlich nicht den geringsten Raum
für Imagination und wahrscheinlich noch nicht einmal für Erinnerung. Denn das
Haiku ist ein Gedicht und kein Tagebucheintrag.
Eine andere Verfahrensweise, für
die ich mich einsetze, definiert Authentizität darüber, daß durch das Gedicht
eine bestimmte Wirkung auf den Leser ausgeübt wird, aber eben nicht die Wirkung
der tatsächlichen Erfahrung des Autors. Dieser Ansatz zur Authentizität erinnert
mich an Stephen Cranes The Red Badge of
Courage / Die rote Tapferkeitsmedaille, einen klassischen Roman über den
amerikanischen Bürgerkrieg. Das Buch wurde für seine fesselnde Glaubwürdigkeit
gepriesen. Einige der Kriegsveteranen gingen sogar so weit zu behaupten, daß
sie zusammen mit Crane auf dem Schlachtfeld gekämpft hätten, — obwohl Crane
erst 1871 geboren wurde, sechs Jahre nach Beendigung des Krieges. Crane hatte
also Authentizität geschaffen, die nicht auf einem unmittelbaren Erfahrungserlebnis
beruhte. Genauso wie wir wissen, daß Fiktion wahrhaftiger und treffender als
die Wirklichkeit selbst sein kann, so kann dasselbe für das Haiku gelten, —
jedoch aus Gründen, die mich meist verblüffen, widersetzen sich einige
Haikuschreiber dieser Sichtweise. Dabei ist diese Haltung vielmehr ihre eigene
Wahl, nicht die unantastbare Eigenschaft des Haiku selbst, die einige dieser
Haikuschreiber vorauszusetzen scheinen. Womöglich entstand diese Form der
Sichtbeschränkung durch den starken Zen-Einfluß auf Haikuinterpretationen durch
Blyth und durch die Beat-Poeten in Amerika und wohl auch andernorts.
Haiku-Schreiber sollten darüber hinwegsehen, oder sie sollten zumindest
anerkennen, wenn andere Haijin von der reinen Erfahrungsrealität abgerückt sind
und den Wert ihres breiteren Authentizitätsansatzes entdeckt haben. Sogar Bashō
selbst sagte: „Die Kunst der Dichtung liegt einfach im geschickten Erzählen
einer Lüge“[2].
Ich glaube in der Tat, daß das
Haiku sich selbst einengt, wenn es nur das Abbild einer authentischen Erfahrung
darstellt. Darüber hinaus kann auch eine tatsächliche Erfahrung dem Leser
unecht und gekünstelt erscheinen, da sie möglicherweise schon an sich zu
ungewöhnlich oder zu unglaubwürdig erscheint. Selbst wenn jemand über seine
tatsächliche Erfahrung schreibt, steht er noch vor der schwierigen Aufgabe,
Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit für den Leser zu schaffen. An dieser Stelle
kann man beispielsweise an Busons berühmtes Gedicht denken, wo er auf den Kamm
seiner toten Frau tritt und dabei so viel Frösteln empfand. Es ist ein Schauer,
den ein jeder von uns bei der Lektüre dieses Gedichts auch spüren kann. Doch
Busons Frau lebte zum damaligen Zeitpunkt natürlich noch. Buson war nicht
darauf festgelegt, seine Haiku gemäß der sogenannten „tatsächlichen“ Erfahrung
zu schreiben. Authentizität im Haiku ist nicht eine bloße Zuordnung von
Erfahrungen, die bereits stattgefunden haben. Vielmehr wird Authentizität im
Haiku geschaffen, und das Haiku schafft wiederum eine Erfahrung, die, so hoffen
wir, für den Leser erlebbar wird. Außerdem ist das Haiku ein Erlebnis und nicht
einfache Erfahrungswiederholung. Die Authentizität, die das Haiku so
eindrucksvoll macht, daß es uns emotional bewegt, rührt daher, ein Gedicht
geschaffen zu haben, das dem Leser glaubwürdig vorkommt, ganz unabhängig davon,
ob es so wirklich passiert ist oder nicht, — wobei letzteres ohnehin nicht
bewiesen werden kann. Wenn wir diese Wahrheit anerkennen, könnten Haikuschreiber
ihren Kleinkrieg untereinander bezüglich der Echtheit im Haiku aufgeben.
[1] Translated
by Makoto Ueda, in “The Nature of Poetry: Japanese and Western Views,” Yearbook of Comparative and General
Literature #11, supplement, 1962, 142–148.
[2] Übersetzt
von Makoto Ueda, in The Nature of Poetry:
Japanese and Western Views, Yearbook of Comparative and General Literature
/ Die Natur der Poesie: japanische und
westliche Sichtweisen, Jahrbuch für vergleichende und allgemeine Literatur,
Ergänzung zur Nummer 11, 1962, Seite 142 – 148.
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