Michael Dylan Welch

First published in German in Sommergras #125, June 2019, pages 19–22. See also “The Territory of Haiku” and “Das Territorium des Haiku.”

von Claudia Brefeld

Michael Dylan Welch wurde 1962 in Watford, England, geboren und wuchs in England, Ghana, Australien und Kanada auf. Er ist britischer Staatsbürger, als Teenager bekam er zusätzlich die kanadische Staatsbürgerschaft. Er reist häufig nach Japan, zusammen mit seiner japanischen Frau, und lebt jetzt mit ihr und seinen beiden Kindern in Sammamish, Washington. Seine Interessen – natürlich neben Haiku und verwandten Formen – sind Reisen, Fotografieren, Bücher und Lesen, Gitarrensoli, Skifahren und Racquetball.

         Seit 1976 beschäftigt er sich mit Haiku und verwandten Gedichten, wobei er – wie er selbst sagt – zu Beginn schlechte Haiku (sogar mit Überschriften) schrieb, bevor er 1988 das literarische Haiku für sich entdeckte. Seit dem Zeitpunkt sammelt er Haiku-Literatur (sein Bestand beläuft sich auf inzwischen Tausende von Büchern) und ist verschiedenen Haiku-Gruppen beigetreten, in denen er unterschiedliche Funktionen ausübte. So ist er Mitbegründer der Haiku North America Conference (1991), des American Haiku Archives (1996) und Gründer der Tanka Society of America (2000), wo er fünf Jahre Präsident war. Von 2009 bis 2013 war er außerdem Vizepräsident der Haiku Society of America (HSA). Er begann Haiku zu unterrichten und hat Hunderte von Aufsätzen und Rezensionen über Haiku geschrieben. Außerdem war er Herausgeber von Woodnotes (1989-1997) und Tundra: The Journal of Short Poem (1997-2001). Er gründete 1989 sein Haiku-Verlagsprojekt Press Here, 2008 die nun jährlich stattfindenden Treffen Seabeck Haiku Getaway (zusammen mit Alice Frampton ) und 2010 die Website National Haiku Writing Month (www.nahaiwrimo.com).

        Seit 2009 betreibt und erweitert Michael seine umfangreiche persönliche Website www.graceguts.com, die sich hauptsächlich mit Haiku befasst.

        Seine Haiku-Recherchen brachte er mit dem Studium der längeren Poesie in Einklang, indem er 1989 seinen Magister in englischer Sprache machte und später von 2013-2014 als Poet Laureate (vom Staat besonders ausgezeichneter Dichter) von Redmond, Washington, tätig war. Im Laufe der Jahre gewann Michael den ersten Preis bei zahlreichen Wettbewerben für Haiku und verwandte Lyrik, bearbeitete und schrieb dutzende Gedichtbücher und sprach auf vielen literarischen Konferenzen. Michaels eigene Haiku und längere Gedichte sind in hunderten von Zeitschriften und Anthologien in mindestens zwanzig Sprachen erschienen.

        Zu seinen Büchern gehören unter anderem:

        Im Jahr 2000 ließ er in Neuseeland eines seiner Haiku in Stein gravieren. Michael sagt über sich: „Ich hatte schon immer einen Sinn für Poesie. Vielleicht hat es ja auch etwas damit zu tun, nach Dylan Thomas benannt zu sein! An der Universität studierte ich Kommunikationswissenschaften/Medien und Englisch und erhielt 1989 einen MA in Englisch. Ich konzentrierte mich auf Poesie und Fiktion des 20. Jahrhunderts und schrieb meine Abschlussarbeit über Anthony Burgess und seinen Sinn für das Spiel mit Worten – ähnlich dem Sinn, der auch ein wenig das Haiku durchdringt.

        Mein Weg zum Haiku begann in einer Englischunterrichtsstunde an der Highschool, in der George Goodburn Haiku als siebzehnsilbiges Naturgedicht vorstellte. Jahrelang verfasste ich eher schlechte Haiku. Erst ungefähr ein Jahrzehnt später kaufte ich mein erstes Haiku-Buch in einer japanischen Buchhandlung in der Nähe der St. Pauls Cathedral in London. Es war eine Sammlung von Bashos Haiku, übersetzt von Lucien Stryk. Kurz danach kaufte ich jedes Haiku-Buch, das ich finden konnte. Als ich Cor van den Heuvels The Haiku Anthology begegnete, änderte sich meine Haiku-Wahrnehmung radikal, vor allem dank der Arbeit von Marlene Mountain. Von da an bedeutete Haiku schreiben für mich, Worte nicht mehr in eine beliebige Durchschnittsform zu pressen. Die Gedichte in Cors Sammlung zeigten mir vielmehr den Wert des Inhalts. In diesen Gedichten passierte etwas anderes, und ihre Magie faszinierte mich. Über Cors Buch kam ich in Kontakt mit der Haiku Society of America und der Zeitschrift Frogpond sowie mit Robert Spiess‘ Modern Haiku. (Weitere Details auf: http://www.graceguts.com/essays/finding-my-way-to-haiku)

        Haiku und Fotografie haben viel gemeinsam. Denn nicht nur Haiku sind oft objektiv, bildbasiert und fangen einen Moment ein – für Fotos gilt dies gleichermaßen. Viele der besten Fotografien sind wegen des Kontrastes, der Nebeneinanderstellung, der Farbe, der subtilen Nuancen oder der verschiedenen Kompositionstechniken so erfolgreich. So auch Haiku. Zur Fotografie kam ich über die Fotos meines Vaters von seinen Reisen um die Welt. Später habe ich an mehreren Jahrbüchern in der High School mitgearbeitet und hatte Glück, dass ich damals eine Kamera meines Vaters hatte. Nach ein paar Jahren entdeckte ich, dass Schwarzweiß-Dunkelkammerarbeit nicht meine Sache war und beschloss, mich auf Farbdias zu konzentrieren.

        Ich habe seit 1976 Freude daran, Haiku-Gedichte zu schreiben. Das Genre offenbart mir noch immer seine vielen verborgenen Gesichter und erweitert bis heute meinen Horizont. Während ich mehr über seinen japanischen Ursprung, seine Geschichte und aktuellen Entwicklungen sowie über seine weltweiten Veränderungen und Anpassungen erfahre, lerne ich etwas über das Herz der Menschheit selbst. Haiku ist ein Fenster in uns.“


        after the quake nach dem Beben

               the weathervane       die Wetterfahne

                      pointing to earth               zeigt zur Erde


        meteor shower . . . Meteorschauer . . .

        a gentle wave eine sanfte Welle

        wets our sandals durchnässt unsere Sandalen


        tulip festival— Tulpenfest –

        the colours of all the cars die Farben all der Autos

        in the parking lot auf dem Parkplatz


        home for Christmas: Weihnachten zu Hause:

        my childhood desk drawer Meine Kinderschreibtischschublade

        empty leer


        spring breeze— Frühlingsbrise –

        the pull of her hand das Ziehen ihrer Hand

        as we near the pet store in der Nähe der Zoohandlung


        first snow . . . erster Schnee . . .

        the children’s hangers die Kleiderbügel der Kinder

        clatter in the closet klappern im Schrank


        first star— erster Stern –

        a seashell held eine Muschel an das Ohr

        to my baby’s ear meines Babys gehalten